
Hamburgs Beach Club StrandPauli: ein beliebter Treff für Locals und Touristen, barfuss im Sand und die Kreuzfahrtschiffe vor der Nase. Dieses Flair kann man jetzt sogar im Winter geniessen.Foto: mediaserver.hamburg.de Thomas Panzau
Hamburg. Der Zug in die Städte wird weiter anhalten. 2050 werden voraussichtlich 68% der Welt-Bevölkerung in urbanen Gebieten leben. Daneben boomt der Tourismus weiter. Fast die Hälfte aller internationalen Touristen reisen in die 300 grössten Städte der Welt. Sind diese überhaupt bereit für dieses Wachstum? Eine Studie versucht, den Status Quo zu analysieren. Und das Beispiel Hamburg zeigt, dass Städte nun die Hotel-Entwicklung mitsteuern wollen.
300 Städte weltweit generieren 80% der Wertschöpfung, lautet eine imponierende Zahl, die Richard Winter, Regional Manager der Stadt Hamburg, beim Hogan Lovells Hotel Day Mitte September in Hamburg nannte. "Damit werden in diesen Städten Entscheidungen getroffen!", merkte er zu Recht an. Das allerdings setzt die Städte unter Zugzwang: Sie müssen heute schon entscheiden, welchen Wachstumsweg sie gehen werden. Denn neben der Bevölkerung wollen auch immer mehr Touristen in die Städte.
Das stellt vor allem die Städte vor grosse Herausforderungen. Amsterdam, Barcelona und Venedig kämpfen bereits heftig gegen Overtourism. Kein Wunder: "Die Städte-Ankünfte entsprechen nahezu der Hälfte der gesamten touristischen Ankünfte", zitiert Heidi Schmidtke, Executive Vice President bei JLL Hotels & Hospitality Group, aus der Studie "Destination 2030", die JLL gemeinsam mit dem WTTC gemacht hat und die sie in Auszügen am Hogan Lovells Day vorstellte.
630 Millionen internationale Ankünfte zählten die Statistiker jüngst in den 300 grössten Städten der Welt – das sind 45% der gesamten touristischen Ankünfte. Auf Deutschland heruntergebrochen sind es 32 Millionen internationale Reisende, die in Städten über 100.000 Einwohnern ankommen – was 56% der gesamten touristischen Ankünfte im Land macht.
Das sind einerseits bedrohliche Zahlen, andererseits ist der Tourismus ein Wirtschaftsmotor: Er generiert im Bereich Tourismus & Reisen 319 Millionen Arbeitsplätze weltweit und 3 Millionen Arbeitsplätze in Deutschland. Weltweit trägt der Sektor 10,4% zum BIP bei, in Deutschland sind es 8,6%. In einer weltweiten BIP-Prognose von WTTC und UNWTO wächst der Tourismus jährlich um 4% weiter – und macht die Branche damit zur drittstärksten Industrie nach dem Bankwesen und dem Finanzsektor.
Druck auf den europäischen Städten
Mit diesen Zahlen im Hinterkopf initiierten JLL und das WTTC einen Destination 2030-Index, der auf der Auswertung von über 75 Indikatoren in 50 globalen Märkten beruht. Dadurch wird sichtbar, wie sich die Städte auf die Entwicklung einstellen, wie der städtische Tourismus-Markt aktuell jeweils aussieht und welche Massnahmen die jeweiligen Städte ergreifen, um dem Nachfrage-Wachstum zu begegnen. Die Städte, fünf Typologien zugeordnet, lassen sogenannte "Levels der Bereitschaft" erkennen:
"Dawning Developers" sind Städte mit aufstrebender touristischer Infrastruktur, allerdings nur mit allmählichem Tourismus-Wachstum und geringer Besucher-Konzentration, haben jedoch Wachstumspotenzial.
Beispiele: Bogota, Buenos Aires, Chengdu, Kairo, Kuala Lumpur, Lima, Manila, Moskau, Mumbai, Rio de Janeiro, Riyadh
"Emerging Performers": Bereits weit ausgeprägte Tourismus-Infrastruktur und wachsende Tourismus-Dynamik, allerdings bereits zunehmende Belastungen durch Tourismus-Wachstum:
Beispiele: Bangkok, Delhi, Ho Chi Minh Stadt, Istanbul, Kapstadt, Jakarta, Mexiko Stadt

Overtourism um 9 Uhr morgens: Touristen überfluten den Großen Königspalast von Bangkok. Eine Schrift am Sonnenschirm erinnert die Besucher daran, wenigstens Buddha gegenüber Respekt zu wahren.Foto: map
"Balanced Dynamics": Oftmals Finanzzentren mit geringerem Anteil an Freizeit- versus Geschäftsreisenden, mit etablierter touristischer Infrastruktur und Potenzial für weiteres Tourismus-Wachstum.
Beispiele: Chicago, Dubai, Hongkong, München, Osaka, Peking, Shanghai, Singapur, Tokio, Washington D.C.
"Mature Performers": Starke Freizeit- und/oder Geschäftsreise-Dynamik und etablierte touristische Infrastruktur, allerdings Gefahr zukünftiger Belastungen im Zusammenhang mit Besucher-Volumen, Infrastruktur oder Aktivitäten, so dass sich die Bereitschaft für zusätzliches Wachstum beweisen muss.
Beispiele: Auckland, Berlin, Dublin, Las Vegas, Lissabon, London, Los Angeles, Madrid, Miami, New York, Seoul, Sevilla, Sydney
"Managing Momentum": Hohe Wachstumsdynamik, die durch Freizeitreisen und etablierte touristische Infrastruktur angetrieben wird; Druck, Reiseaufkommen mit der erforderlichen städtischen Infrastruktur und Vielfalt der touristischen Produkte zu verbinden.
Beispiele: Amsterdam, Barcelona, Paris, Prag, Rom, San Francisco, Stockholm, Toronto, Vancouver
Die europäischen Städte befinden sich fast alle unter den beiden letztgenannten Typologien. Mit ihren touristisch reiferen Märkten stehen sie heute bereits unter Handlungsdruck. Deshalb sind nachhaltige Stadtentwicklungspläne gefragt. Diese können nur entstehen im Zusammenspiel zwischen Stadt-Verwaltung, Wirtschaft, Politik und unter Einbezug der Bürger. Tourismus-Ströme müssten gesteuert, Home Sharing-Konzepte sollten gesetzlich geregelt werden und man könnte auch über Steuern für die Tourismus-Entwicklung nachdenken, lauten ein paar Ratschläge seitens JLL.
So denkt die Stadt Hamburg
Die Hansestadt Hamburg packt das Thema nun konkret an. Welche Gedanken sie hegt, erläuterterte Robert Bojdecki, Key Account Manager von der HIW/Hamburg Invest Wirtschaftsförderungsgesellschaft. Auch er liess zuerst die Zahlen sprechen: So steigen die Übernachtungen in Hamburg weiter. Im ersten Halbjahr 2019 zählte man bereits 7,2 Millionen. Der Anteil in- und ausländischer Gäste stieg etwa gleich, allerdings dominieren die inländischen Besucher mit 76% klar das Besucherbild. "Hier streben wir eine 50:50 Balance an, wie in München", gab Bojdecki ein Ziel vor. Ende 2019 werden 15 Millionen Menschen Hamburg besucht haben, so die Prognose, und die Belegung wird sich bei über 82% einpendeln.
Diese Zahlen werden weitere Hotel-Investoren auf den Plan rufen – selbst wenn seit 2017 die Betten-Kapazitäten schneller steigen als die Übernachtungszahlen. Deshalb will Hamburg jetzt das Zimmer-Volumen und die Hotel-Qualität stärker steuern. Bojdecki möchte weniger Ketten und mehr Vielfalt. Allein Motel One habe einen Marktanteil von 7% in Hamburg, Accor einen von 14%, und andere Ketten kommen auf 20%, rechnete er vor.
Die Stadt hat deshalb einen genaueren Blick auf die geplanten Kapazitäten geworden. Derzeit zählt Hamburg rund 35.000 Zimmer, im Jahr 2025 müssten es etwa 46.000, sein um den Bedarf zu decken. 6.471 Zimmer davon sind bereits statistisch erfasst aufgrund konkreter Hotel-Planung. Aber 4.577 Zimmer seien noch "potenziell steuerbar". Deshalb heisst das nächste Statement der Stadt: "Wir wollen keine weiteren Hotels mehr in der Innenstadt!".
Laut Bojdecki konzentrieren sich 80% der neuen Hotel-Projekte auf die Innenstadt. Und 65% aller neu geplanten Zimmer bewegen sich in der 2- bis 3-Sterne-Kategorie. Deshalb ist für die Stadt klar: Bis 2025 braucht man mehr Hotels ab 4 Sterne-Superior-Niveau und Kongress- und Tagungshotels im Upscale- und Premium-Bereich. Um letztere anzulocken, würde die Stadt sogar Grundstücke bereitstellen, warb der Account Manager. Die Hotels sollen künftig nur noch entlang der wichtigsten Verkehrsachsen wachsen – und das gelte auch für B-Standorte.
Aktuell seien die Hamburger Bürger noch mit der Tourismus- und Hotel-Situation zufrieden, dennoch sei man bestrebt, Hotels stärker über die Stadt zu streuen. "Hotels sollen keine Fremdkörper sein", sagte er.
Während die HIW nun Hamburgs sieben Bezirke auf ihren Erlebnisfaktor, ihre Besonderheiten und ihr Potenzial hin untersuchen wird, werden viele Investoren und Betreiber richtig Gas geben, um sich doch noch einen Platz in der Innenstadt zu sichern: Laut HIW gibt es heute bereits Anfragen für über 200 Hotels in der Stadt!
Und die letzte, ungeklärte Frage – nicht nur für Hamburg – ist diese: Werden die Touristen überhaupt akzeptieren, in andere Bezirke "umgeleitet" zu werden? Wer die schönsten Städte der Welt besucht, wird zuerst immer in die Innenstadt wollen, zum Original. / map