Deutschland polarisiert (sich)

Deutschland polarisiert (sich)

Politik INSIDE Berlin: Kolumne von Frank Tetzel

Der Berliner Reichstag / c_Aron Marinelli, unsplash
/ © Aron Marinelli, unsplash

Bauernstreik, Anti-Rechts-Demos und Bahnstreik: Deutschland geht auf die Strasse – zu Fuss oder mit Traktoren. Die Gesellschaft polarisiert sich. Ein unruhiges Jahr hat begonnen. 

Und die Ampel-Koalition in Berlin schafft keinen Konsens. Nur noch 17% der Bürger schenkten der aktuellen Regierung am 17. Januar nach einer Umfrage des Insa Meinungsforschungsinstituts ihr Vertrauen. So gross war die Unzufriedenheit der Bevölkerung noch nie. All das greift inzwischen tief in das deutsche Wirtschaftsleben ein, zu viele Herausforderungen sind nach wie vor ungelöst.


Zur Rezession kommen seit Jahresbeginn weiter gestiegene Preise dazu, etwa durch die gestiegene CO2-Bepreisung. Das alles geschah, weil die Ampelkoalition aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts gezwungen war, einen Sparhaushalt vorzulegen (wie in dieser Kolumne berichtet). 


Dass die Unzufriedenheit in Deutschland so kulminiert, ist aber nicht nur dem Sparzwang geschuldet, sondern weil es SPD, FDP und Grünen zu keiner Zeit wirklich gelungen ist, eine gemeinsame Erzählung für diese Legislaturperiode zu entwickeln. Solange das Geld floss, konnte jede Partei ihre Klientel bedienen. Der Klebstoff ist jetzt weg und die Koalition steht nackt da.


Die Koalition hat in den Meinungsumfragen erheblich an Zustimmung verloren. Von ehemals 52% bei der Bundestagswahl 2021 sind die Umfragewerte auf 33% gefallen. Etwa die Hälfte der Bevölkerung glaubt, dass die Regierung 2024 bestehen bleibt, während 41% denken, dass sie scheitern wird. 


Kanzler Scholz sieht sich auch persönlich sinkenden Zustimmungswerten gegenüber. Sein Kommunikations- und Führungsstil wird als roboterhaft, unkonkret und emotional distanziert wahrgenommen, was zur allgemeinen Unzufriedenheit beiträgt. Wenn Finanzminister Christian Lindner (FDP), der alle Beschlüsse der Ampel mitgetragen hat, bei der Bauern-Demonstration den Oppositionsführer mimt, dann merkt das Volk ganz schnell, wenn die Regierenden es für blöd verkaufen wollen. 


Die wachsende Unzufriedenheit in Sektoren wie der Landwirtschaft ist deutlich erkennbar. Bauern kämpfen gegen neue Auflagen zum Klima-, Umwelt- und Tierschutz und die schnelle Streichung von Subventionen. Diese Herausforderungen führen zu einem Gefühl der Überforderung und zu anhaltenden Protesten, insbesondere unter den Landwirten und unter den Anhängern der Lokführer-Gewerkschaft, die hartnäckig für massive Lohnerhöhungen kämpfen.  


Dabei gäbe es vieles aufzuarbeiten, die marode deutsche Infrastruktur ist keinen Deut besser geworden, Bildung findet in Deutschland unter katastrophalen räumlichen Bedingungen statt, leidet auch unter zu wenig Personal und unter einer Bildungspolitik mit leeren Kassen. 


Insgesamt steht Deutschland vor einer Zeit der politischen Instabilität und zunehmenden Polarisierung. Die Regierung steht vor der Herausforderung, einen Konsens zwischen verschiedenen Interessengruppen herzustellen. Stattdessen organisiert sich die Mitte der Gesellschaft inzwischen selbst: Das zeigen eindeutig die Demos gegen die unsäglichen "Remigrationsüberlegungen" der AfD, gegen die hunderttausende Menschen auf die Strassen und Plätze ziehen, trotz Winterwetter und nicht nur in Berlin oder Hamburg, sondern auch in vielen kleinen und mittleren Städten der Republik. / Frank Tetzel 



FAKTEN: Deutsche Wirtschaft ohne Rückenwind ins Jahr 2024


Die Hoffnung auf eine baldige Konjunktur-Erholung in Deutschland schwindet. Nach einem Rückgang der Wirtschaftsleistung zum Jahresende 2023 geht Europas grösste Volkswirtschaft ohne Rückenwind in die kommenden Monate. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) sank nach vorläufigen Daten im 4. Quartal 2023 im Vergleich zum Vorquartal preis-, kalender- und saisonbereinigt um 0,3%. Das Statistische Bundesamt bestätigte am Dienstag, 30.1.2024, eine erste Schätzung. 


Im europäischen Vergleich rangiert Deutschland damit auf einem der hinteren Plätze. Zu den wachstumsstärksten Ländern, die bislang Zahlen vorlegten, zählten Spanien mit einem Wirtschaftswachstum von 0,6% zum Jahresende und Portugal mit einem Plus von 0,8%. Im Nachbarland Frankreich stagnierte das BIP, in Italien wurde ein leichtes Plus von 0,2% verzeichnet. 


Nach vorläufigen Angaben der Statistiker gab es zum Jahresende 2023 vor allem bei den Bauinvestitionen und Investitionen der Unternehmen in Ausrüstungen wie Fahrzeuge und Maschinen im Vergleich zum Vorquartal ein deutliches Minus. 


"Für das erste Quartal 2024 zeichnet sich erneut ein Rückgang der Wirtschaftsleistung ab", sagte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Dafür spreche der Abwärtstrend der Industrieproduktion, der jüngste Rückgang der Auftragseingänge sowie das niedrige Niveau des Ifo-Geschäftsklimas. "Nach einem Ende der Rezession ist kein kräftiger Aufschwung in Sicht." 


Viele Volkswirte senkten ihre Prognosen und gehen von einem Wachstum von teils deutlich weniger als 1% aus. Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) rechnet bestenfalls mit einer Stagnation. Der Internationale Währungsfonds (IWF) stellte am Dienstag ein Wirtschaftswachstum von 0,5% für Deutschland in Aussicht. Im Oktober hatte das IWF-Expertenteam noch einen Zuwachs von 0,9% erwartet.


Einige Volkswirte schliessen auch einen Rückgang des Bruttoinlandsproduktes im Gesamtjahr 2024 nicht aus. / dpa 

Autor

Frank Tetzel

Frank Tetzel

schreibt u.a. über Nachhaltigkeit, Internationale Politik, aber auch über die Entwicklung von Städten und das Thema Tourismus und Hotellerie. Zudem ist er bestens vernetzt im politischen Berlin.

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