
Mama Shelter: Das Essen muss ehrlich sein!
Amsterdam. Während die Menschen immer häufiger ins Restaurant gehen, machen die meisten dabei einen Bogen um Hotel-Restaurants. Aspekte wie ein fehlender Zugang zur Strasse, eine sterile Atmosphäre, förmlicher Service, überteuerte Gerichte und manchmal eine Kombination aus all dem hindern Hotel-Restaurants daran, mit lokalen Gästen zusätzliche Einnahmen zu machen. Für manche Marken wie zum Beispiel Mama Shelter aus Frankreich, The Hoxton aus Grossbritannien oder Dream Hotel aus den USA sind die lokalen Gäste die Haupteinnahme-Quelle. Aber sie sind und bleiben Ausnahmen in einer Hotelwelt, in der Hoteliers sich in erster Linie auf ihre Zimmer konzentrieren. Ja, dort lässt sich mehr verdienen, aber wenn man es richtig macht, kann F&B nicht nur als zusätzliche Einnahme dienen, sondern auch die Reputation eines Hauses verbessern.
Laut einer Umfrage unter 820 Restaurant-Gängern, die kürzlich von dem britischen Gäste-Management-Unternehmen HospitalityGEM durchgeführt wurde, geben 64 Prozent der Befragten an, dass sie mehr als fünfmal im Monat zum Essen gehen, doch nur 15 Prozent von ihnen tun dies in einem Hotel-Restaurant. Der Hauptgrund dafür ist eine empfundene Überteuerung.
"Es stimmt, dass viele Leute Hotel-Restaurants als teuer einschätzen, selbst wenn viele mittlerweile ihre Preise und Karten dem Wettbewerb auf der Strasse angepasst haben. Aus meiner Sicht ist das Handeln der Menschen kulturell begründet. Man geht einfach nicht in einem Hotel essen, wenn man in der Stadt unterwegs ist, besonders in Europa. Das sieht man in Amerika oder Asien häufiger als in Europa, ausser vielleicht in den Hauptstädten", so Hugues Dorison, Hotelexperte und Chef der Beratungs- und Ausbildungsfirma 18/10 in Toulouse.
Kulturelles Verhalten erklärt vieles, obgleich laut der HospitalityGEM-Umfrage mehr als ein Drittel der Befragten zugibt, dass sie ein Hotel-Restaurant eher in Betracht ziehen würden, wenn es einen guten Ruf hat. Nun ist es kein Geheimnis, dass ein guter Ruf einfacher durch gutes Essen, eine lebendige Atmosphäre, ein trendbewusstes Interieur, freundlichen Service ... und natürlich das Versprechen eines tollen Erlebnisses entsteht, über das die Gäste sprechen und das sie in den sozialen Medien weiterempfehlen.

Experte Hugues Dorison: Zum Essen ausgehen ist Teil der Kultur.
"Mit dem Internet hat sich die Mentalität der Menschen geändert. Die Gäste wollen ihre Destination wie Einheimische erleben, sind gut informiert, können jedes Restaurant mit tollen Bewertungen online auswählen und sind nicht mehr vom Concierge abhängig", so Hamid Bentahar, Vice President Luxury & Upscale Brands Africa & Indian Ocean von AccorHotels. Im Rahmen seiner bisherigen Positionen war Bentahar für die Entwicklung und Eröffnung des SO verantwortlich, einem Club/Lounge/Restaurant des Sofitel Marrakech. Heute kann er bestätigen, wie sehr das Restaurant geholfen hat, das Geschäftsergebnis des Hotels zu verbessern. "Nach sechs Jahren wird das SO Marrakech eine Institution. Es ist eine einmalige Erfolgsgeschichte unter den lokalen Hoteliers, doch es war möglich, weil wir uns ständig den neuen Gegebenheiten anpassen."
AccorHotels betreibt heute drei SOs allein in Marokko: in Agadir, Marrakesch und Rabat, wo man in kurzer Zeit eine feste Stammkundschaft aufbauen konnte.
Aber das ist eine Ausnahme. Serge Trigano, der Mama Shelter Hotels zusammen mit seinen beiden Söhnen gründete, kommentiert: "Wenn die Leute Hotel-Restaurants meiden, dann liegt das abgesehen von den Preisen daran, dass sie sich schnell langweilen, da ein Restaurant-Besuch eigentlich ein echtes Erlebnis sein sollte."
F&B-Outsourcing als Trend
Vergangenes Jahr heuerte AccorHotels den Hotel- und Entertainment-Spezialisten Amir Nahai aus New York an. Als CEO Food and Beverages betraute man ihn mit der delikaten Aufgabe, das weltweite F&B-Angebot der Gruppe von Grund auf zu überdenken, was dann Top-Priorität erhielt. Andere entscheiden sich für externe Partnerschaften. "Das Outsourcen von F&B ist eine gute Idee, aber nur, wenn dadurch etwas anders gemacht wird", warnt Jean-Robert Reznik, langjähriger Hotelexperte und Präsident von Kingford Consulting.
Hugues Dorison stimmt ihm zu. "Wenn das eigene Restaurant nicht gut genug ist, sollte man sich an Profis wenden, die Qualität garantieren können. Sie sind Experten ihres Fachs und wissen in der Regel, was möglich ist und wie man es erreichen kann. Sie haben oft Marken an der Hand, die bei der örtlichen Bevölkerung bekannt sind und auf Grundlage eines Pacht-Vertrags arbeiten können. Diese Lösung ist bequem für Hoteliers", so Dorison.
Bequem, ja, aber zugleich auch problematisch, wenn es um Kommunikation geht. Es ist bekannt, dass beide Seiten nicht dieselbe Sprache sprechen und daher oftmals kollidieren. "Es geht um Ego und Kontrolle", weiss Reznik, der eine vernünftige Frage stellt: "Was ist schlimmer, ein durchschnittliches Produkt zu kontrollieren oder die Kontrolle abzugeben und dafür ein erfolgreiches Produkt zu erhalten?"
Grosser Hotelier und/oder grosser Restaurant-Betreiber
In Amsterdam scheint das W nicht sonderlich um Kontrolle bemüht, da seine drei Restaurants alle von der Entourage Group geführt werden, einem spezialisierten Restaurant- und Barbetreiber, der für die niederländische Hotellerie neue Massstäbe setzt. Bedeutet das, ein guter Hotelier kann nicht gleichzeitig ein guter Restaurant-Betreiber sein? Es scheint so, es ist recht selten, in beiden Jobs gut zu sein. "Es ist schwer für einen Hotelier, im Restaurant-Geschäft erfolgreich zu sein. Ich denke, andersherum ist es einfacher", so der President von Kingford Consulting.

Das Club-Lounge-Restaurant im Sofitel Marrakech hat das Ergebnis des Hotels deutlich verbessert.
Hugues Dorison ist da etwas optimistischer. Er ist überzeugt, dass man in beiden Bereichen gut sein kann, "aber nur dann, wenn man eine klare Strategie verfolgt und das Management oder der Hoteleigentümer sich eindeutig dazu bekennt." Brendan McNamara, Executive Vice President of Marketing, Communications and Product Development der Dream Hotel Group, ist da anderer Meinung: "Wir sehen die beiden Jobs nicht getrennt, sondern jeweils als Teil des gesamten Hotel-Erlebnisses. Ja, man kann ein guter Hotelier sein und gleichzeitig erfolgreich ein Restaurant betreiben. Aber in vielen Fällen pflegen wir Partnerschaften mit gleichgesinnten Menschen, die das Restaurant-Handwerk besonders gut beherrschen und unsere Vorstellung von einem ganzheitlichen Hotelerlebnis teilen."
Die Dream Hotel Group ist ein Hotelunternehmen aus New York, das sowohl über eigene Hotels verfügt als auch Hotels für andere führt. Ihr Gründer, Sant Singh Chatwal, war vor seiner Zeit als Hotelier ein erfolgreicher Restaurant-Betreiber. Sein Team arbeitet heute in mehreren Bereichen mit externen Partnern zusammen: F&B, Nightlife und Entertainment und Innenarchitektur. Letzterer stellt sicher, dass die Hotels so effektiv wie möglich geführt werden. Die von den Einheimischen in New York, Miami oder Bangkok gelobten Lifestyle-Marken wecken das Interesse vieler Investoren.
Hotel-Restaurants als eigenständige Betriebe
Viele Branchen-Experten unterstreichen, wie viele Vorteile es einem Hotel-Restaurant bringt, als eigenständiger Betrieb mit eigener Marke, eigenem Eingang und eigener Identität zu agieren. "Es braucht einen Namen, der nicht direkt mit dem Hotel in Verbindung steht, wobei ein diskretes 'by Hilton' oder 'by Hyatt' nicht schadet", erläutert Hugues Dorison. Er besteht auf einen separaten Eingang "wenn möglich", da er lokalen Gästen dabei hilft, "die psychologische Barriere zu überwinden".
The Lobby in Amsterdam hat genau das geschafft. Obwohl das Restaurant in das Boutique-Hotel V integriert ist, fühlt es sich nicht so an. Es verfügt über zwei Eingänge an der Strasse, trägt mit "The Lobby" einen eigenständigen Namen, hat eine eigene Webseite, sehr freundliche Mitarbeiter, ehrliche und ansprechend ausgestellte Gerichte, viel Platz, eine interessante Raumgestaltung und vernünftige Preise. Wenig überraschend gehört es zu Amsterdams beliebtesten Restaurants. Und es lässt so manches Luxushotel in der Stadt vor Neid erblassen.
Zugang zur Strasse scheint also noch wichtiger zu sein als gedacht ... oder nicht? "Wir denken zwar, dass ein Strasseneingang wichtig ist, um von Fussgängern gesehen zu werden, doch in vielen Fällen in genau das nicht erwünscht, weil es nicht zum jeweiligen Etablissement passt. Manche unserer Bars/Lounges verstecken wir gewollt innerhalb des Hotels und wenden uns an die Presse, um ihnen die Aufmerksamkeit zu geben, die sie brauchen. Es klingt zwar abgedroschen, aber das 'Kneipenkonzept' hat einen gewissen Charme", gestand Brendan McNamara, der offensichtlich weiss, wovon er redet, da seine Gruppe die Hälfte ihres Umsatzes aus F&B schöpft.
Essen im Hotel ist nicht tot

Brendan McNamara, Dream Hotels: Die Hälfte des Umsatzes kommt von F&B.
Sind Hotel-Restaurants überholt? Nein. Jean-Robert Reznik hat Hoffnung und glaubt, dass "Hoteliers zwar nicht übermässig kreativ waren, aber das nun ändern." Etwas pragmatischer sieht es Hamid Bentahar, der meint, dass Hoteliers ein Restaurant in vier Fällen weiterbetreiben werden: "Erstens, wenn es Umsatz macht. Zweitens, weil es ein notwendiges Übel ist, ein Service, der den Gästen angeboten werden muss. Drittens, wenn die Positionierung des Restaurants dabei hilft, die Zimmerpreise zu erhöhen. Viertens, wenn das F&B eine spezielle Erfahrung bietet, die für Medien-Aufmerksamkeit sorgt, und wenn die lokale Elite als Gäste für einen Anstieg der Reputation des Hotels als ganzes sorgt."
Serge Trigano glaubt fest daran, dass ein Hotel auch ohne Restaurant Erfolg haben kann, besonders wenn es in einer lebhaften Umgebung voller Einkehrmöglichkeiten liegt. "Warum sollte man sich das Leben unnötig schwer machen?", so Trigano, der weiss, dass viele Hoteliers am liebsten allein auf Unterbringung setzen würden. "Das ist vernünftig, denn das Betreiben eines Restaurants ist kompliziert, die Margen sind niedrig und die Mitarbeiter-Verwaltung kann einem Kopfzerbreche bereiten."
Berater und Hotelcoach Hugues Dorison ist überzeugt, dass es manchmal besser ist, den Ball abzugeben. "Für eine Hotelkette ist das nahezu unmöglich, da hier Standards eine Rolle spielen, aber für Privathotels liegt es nahe, den Restaurant-Betrieb einzustellen und stattdessen hochwertigen F&B-Service anzubieten mit einer Auswahl an Gerichten von beliebten Cafés und Brasserien aus der Nähe." Aus seiner Sicht ist das besser, als sich mit einem Restaurant herumzuschlagen, dessen schlechter Ruf dem Hotel schaden und sich negativ auf die Buchungszahlen auswirken kann.
"Outsourcing hängt von den jeweiligen Umständen ab", fügt Brendan McNamara hinzu. "Oft ist das eine gute Lösung. Wir haben mehrere Restaurants, und manche davon werden von unserer Gruppe und andere von Partnern betrieben. Das Ergebnis ist mehr Vielfalt, aber das hängt alles von den jeweiligen Umständen ab, wie dem Ort, der Grösse des Gebäudes und so weiter."
Alles dreht sich um Flexibilität und Prioritäten
Die Hotels müssen sich steigern, wenn sie mehr Umsatz machen wollen. Eine Anpassung, welche die Dream Hotel Group nicht mitmachen muss, da man vom ersten Tag an auf F&B gesetzt hat. "Wir sehen den F&B-Aspekt der Branche als zentralen Bestandteil unseres Geschäfts, ein eindeutiges Merkmal in unserer DNS. Unsere Restaurant- und Nightlife-Angebote sind ein Kennzeichen dessen, was wir sind. Wenn wir also ein Hotel planen, sind diese Bestandteile von oberster Priorität. Wir bauen unsere Hotels sowohl unter Einbeziehung der sie umgebenden Gesellschaft als auch unter Berücksichtigung der kurzfristigen Aufenthalte unserer Gäste, damit die öffentlichen Bereiche für die Menschen vor Ort zu einem sozialen Treffpunkt werden", beschreibt der Executive Vice President Marketing and Product Development und wirbt für "ein klares Restaurant- und Bar-Angebot in Umgebungen, die mit Leben gefüllt sind und die den Charakter unserer Marken wiedergeben. Bodega Negra ist hier ein gutes Beispiel."

Dream Hotel New York: Die Gruppe holt sich externe Partner mit Knowhow dazu.
Während viele überzeugt sind, dass ein Hotel-Restaurant unmöglich das gleiche Erlebnis bieten kann wie ein Strassen-Restaurant, glauben andere gegenteilig, dass jedes dynamische Konzept, das ausserhalb eines Hotels funktioniert, in angepasster Form auch innerhalb eines Hotels funktionieren kann. Alles dreht sich um Prioritäten, eine F&B-Strategie und Investitionen. Jahrelang reichte die Partnerschaft mit einem Starkoch aus und der Erfolg war sicher. Das trifft heute nicht mehr unbedingt zu. "Heute ist nicht nur der Koch ein Star, sondern auch der Barkeeper, der Service, die Hostess, der Standort ... und wenn all das perfekt ist, hat man nur 30 Prozent des Jobs geschafft. Der Rest baut auf Online-Reputation, Marketing-Strategie, Social Media und die richtige Zielgruppe am richtigen Ort. Wichtig sind auch Mitarbeiter, die so aussehen wie die Kunden", fasst Hamid Bentahar zusammen, der glaubt, dass ein Ort darauf ausgelegt sein sollte, "mehrere Erfahrungen in gemischten Ländern" bieten zu können."
Flexibilität ist sicherlich eine weitere Eigenschaft, die Hoteliers aufweisen müssen, wenn sie an Laufkundschaft interessiert sind – das fängt bei den Speiseräumen an. "Potenzielle Gäste sollten überall essen dürfen, wo sie sich wohl fühlen. An der Bar, in der Lobby, auf einer Terrasse, in der Lounge ... und nicht notwendigerweise an einem formellen Esstisch in steriler Umgebung", so Hugues Dorison. Flexibilität bedeutet auch, auf die Bedürfnisse und Wünsche der Gäste einzugehen, Trends zu folgen usw. "Wenn sie Brunch oder Tee lieber möchten als Mittagsgerichte ... dann ist es eben so! Genau wie Spas oder Hotel-Boutiquen könnten Hotel-Restaurants mithilfe lokaler Gäste für einen ernstzunehmenden Nebenumsatz sorgen, aber dazu müssen sie als hohe Priorität geniessen und nicht als Ballast angesehen werden. / Sarah Douag