Augsburg. Die Angst vor dem Gespenst Digitalisierung ist weg. Binnen vier Monaten ist die "digitale Reife" der Menschen explosionsartig gewachsen, Home Office und Home Schooling sei Dank. Familien wie Mitarbeiter und Führungskräfte haben sich angepasst, ändern ihr Verhalten. Jetzt geht es darum, Digitalisierung zu leben, zu integrieren, die Hotelgruppe neu aufzusetzen, den Wettbewerb wie die Gäste-Wünsche "anders" zu analysieren. Das neue nächste Ziel ist es, mit digitalen Strategien und Tools aus Benefits Profit zu machen! Die Diskussionen beim HITT 2020 enthielten deshalb sehr viele Imperative.
Zwei Jahre nach dem Start des HospitalityInside Think Tank war die Sprache aller Teilnehmer eine ganz andere – nicht mehr so zögerlich, sondern deutlich zupackender und präziser. Kein Wunder, denn die letzten vier Monate haben das Lernen extrem beschleunigt. Und die Redner, die Impulsgeber, machten klar: Es geht in einem enormen Tempo so weiter – über alle Branchen-Grenzen hinweg.
Personalisieren, flexibilisieren
Tim Davis, Partner der auf Digitalisierung fokussierten Beratungsgesellschaft Pace Dimensions aus London, analysierte das sich verändernde Wettbewerbsumfeld und sagte u.a.: Das Kunden-Verhalten ändert sich derzeit mit einer grossen Dynamik. "Dabei wird mehr Personalisierung gefragt sein, die Dinge und Prozesse vor allem erleichtern. Es geht darum, eine grössere Flexibilität zu kreieren."
Damit waren schon zwei wichtige Stichworte gefallen, die alle Redner aus zwei Perspektiven betrachteten – aus der Unternehmens- wie der Kunden-/Gast-Sicht.
Neue Experience-Plattformen
Accor und IHG diskutierten untereinander und mit den Teilnehmern, wo Multimarken-Gesellschaften Herausforderungen und Erfolgsansätze sehen. Duncan O'Rourke, COO Central Europe von Accor, ist davon überzeugt, dass "wir in Zukunft einen speziellen Mix aus Experience, High Performance und menschlichen Werten haben werden". Er sprach von vielen neuen Kooperationen mit neuen Partnern, Jamie Cole von IHG sogar davon, dass sich Unternehmen künftig auch Plattformen teilen könnten.
Auf jeden Fall verstärken sich Individualisierung und damit die Notwendigkeit, dem Kunden/Gast auch mehr individuelle Informationen zu bieten. Der Bedarf an Kommunikation wächst massiv, "und die Digitalisierung macht Kommunikation besser," ist sich Cole sicher. Michael Struck, CEO von Ruby Hotels, pflichtete ihm in der nächsten Talkrunde bei: "Es wird künftig noch mehr darum gehen, die Communities als Service Experience zu verstehen und zu stärken. Der interaktive Dialog wird noch wichtiger." Sein Kollege Jens Gmiat von Zoku bestätigte: Alles dreht sich stärker um schnelle Rückmeldungen, um flexibleres Reagieren.
Die persönliche wie die digitale Kommunikation mit dem Gast entlarvt dessen Verhalten und Präferenzen, was in der Operation sehr schnell und bedürfnisorientiert umgesetzt werden muss: "Die Möglichkeiten, im Zimmer Erlebnisse zu bieten – die In-Room-Experience – sind vielerorts noch nicht ausgeschöpft", so Struck. Angst vor Kosten-Explosionen hat er nicht, ganz im Gegenteil: "Die Digitalisierung kann die Risiken mindern, weil die Fixkosten geringer sein können." Gmiat nickte: "Mit der Digitalisierung lassen sich schlanke Modelle durchsetzen."
"Boost your Service Delivery"
Die Benefits digitaler Prozesse sind also klarer und konkreter geworden. Der Profit liegt künftig im massgeschneiderten Kundenservice – und nur noch in zweiter Linie imProdukt. "Boost your Service Delivery" lautete auch der Titel des dritten Think Tanks – und wie man mit kleinen, kundenfreundlichen Anpassungen Gäste halten und neu gewinnen kann, zeigte Dr. Volker Kraft, Managing Partner des Shopping Mall-Entwicklers und Betreibers ECE Real Estate auf.
Er selbst beneidet die Hotellerie darum, dass ihre Gäste zehn Stunden und mehr im Haus verbringen, während es in einem Einkaufszentrum vielleicht nur 60 bis 90 Minuten sind. Deshalb wird auch im Retail-Segment die Analyse der Customer Journey immer wichtiger. "Wir investieren eine Menge in das Upgrading unserer Malls", berichtete Kraft, "wir hatten lange keine Sitzgelegenheiten für unsere Kunden – sie sollten ja shoppen gehen. Inzwischen haben wir Sitz-Zonen wie in den Hotels".
Die Kunden registrieren jede kleine Veränderung, die ihr Wohlbefinden steigert, mit besseren Bewertungen. Deshalb gilt für Retail-Spezialisten auch dieses: "Es geht nicht darum, die höchstmögliche Miete zu erzielen, sondern darum, globale [Handels-]Ketten der lokalen Community zu verknüpfen". Und das setzt die ECE Group jetzt auch online wie offline um: Derzeit entsteht von jeder Mall ein digitaler Zwilling – zum doppelten Benefit für Händler wie Kunden.
Retail und Hospitality als perfekte Zwillinge
Retailing unter Hospitality-Kriterien erhöht also die Gäste-Zufriedenheit und den Unternehmensumsatz. Und das können auch Hospitality-Unternehmen erreichen, wenn sie Retail-Tools einsetzen. Eine aktuelle Umfrage von Sabre Hospitality Solutions' generierte präzise Zahlen, u.a. diese:
> 60% würden wahrscheinlich mehr ausgeben, wenn sie sich für Policies, die sie schätzen, wie flexible Stornierung, Haustiergeld, frühes Einchecken/spätes Auschecken oder Versicherungen, entscheiden und separat bezahlen könnten.
> 53% würden mehr in ihrem Hotel ausgeben, wenn sie alle Komponenten des Reiseerlebnisses direkt beim Hotel buchen könnten.
> 43% der europäischen Reisenden halten die verbesserte Gasterfahrung und personalisierte Angebote innerhalb des Hotels für wichtig.
Wer also verstärkt Services im und rund ums Hotel verkauft, "holt sich viel Kontrolle [über sein eigenes Geschäft] zurück ins Haus," so Frank Trampert, Managing Director EMEA & APAC für Sabre Hospitality. Und das Gute am digitalen Service: "Die Geschäfte schliessen nie. Und das bietet dem Kunden die höchste Flexibilität".
Das neue Hospitality Retailing Tool, dessen weltweite Vermarktung seitens Sabre jetzt langsam ins Rollen kommt, durfte die Luxushotel-Gruppe Langham Hospitality als erster Testpartner ausprobieren. CEO Stefan Leser bestätigte in der Live-Diskusson mit ECE und Sabre: "Das Wichtigste ist die Verfügbarkeit von Produkten [und Services], nicht der Preis." Andererseits korrigierte er aus seiner Perspektive aber auch ein weitverbreitetes Bild: "Das veränderte Konsumenten-Verhalten wird überschätzt".
Um solche Beobachtungen künftig in fundierte, datenunterlegte Aussagen zu verwandeln, gibt es die Künstliche Intelligenz. Der KI-Experte Tom Seddon, Gründer des Software-Unternehmens von Foundry.ai warnte in seinem Schlussbeitrag allerdings davor, sich von dem KI-Hype blenden zu lassen. "KI ist nur nützlich bei Fragen, die man tausende Male und immer wieder stellen kann, basierend auf riesigen Datenmengen". Nur dann lernt man schnell und viel. Ein faszinierendes Thema vor allem für grosse Unternehmen…
Der Benefit für die HITT Community
Es wird also spannend bleiben, zu sehen, wie sich die Digitalisierung nun in der Customer Journey konkret umsetzen lässt. Die HITT Community jedenfalls lernte bei der digitalen Konferenz am Dienstag dieser Woche eine Menge mehr. Dieser Artikel fasst das grosse Bild heute nur grob zusammen. Die Teilnehmer des Think Tanks werden eine ausführlichere Dokumentation des Tages erhalten, und für unsere Leser werden wir einzelne Themen schrittweise auch im Online-Magazin von HospitalityInside vertiefen.
Der virtuelle HITT erntete von Seiten der Teilnehmer bis heute grosses Lob, doch alle wissen auch: Die digitale Konferenz kann das analoge Event – auf dem Event-Schiff in Berlin – nicht ersetzen. Solch ein Format lebt natürlich von inhaltsstarken Vorträgen, aber genauso viel vom menschlichen Miteinander. / map
Die Konferenz wurde aufgezeichnet. Sie finden alle Sessions des HITT 2020 als Video unter https://elopage.com/s/hospitalityinside/HITT-Virtual-Conference-2020. Für Teilnehmer ist der Zugang zu den Videos kostenlos.
Als Nicht-Teilnehmer, aber Abonnent von hospitalityInside erhalten Sie eine Ermässigung auf die Session-Gebühr. Bitte fordern Sie dafür einen Promocode an per E-Mail an unter office@hospitalityinside.com.
Der nächste HITT findet im Frühsommer 2021 statt – in Berlin.
Wir bedanken uns bei allen Teilnehmern, bei den Teams in- und outside von HospitalityInside und bei unseren Sponsoren, die den Weg der Veränderung vom analogen zum digitalen Event ohne Zögern mitgegangen sind!