Jugend 2024: Besorgt, pragmatisch, optimistisch

Jugend 2024: Besorgt, pragmatisch, optimistisch

Young people with letters showing "future"
Was bringt die Zukunft? Jugendliche haben trotz Krisen ihren Optimismus nicht verloren. / © Lomb, AdobeStock

Obwohl sich Jugendliche in Deutschland etwa um einen möglichen Krieg oder eine denkbare Wirtschaftskrise Sorgen machen, blicken sie überwiegend optimistisch in die Zukunft, wie eine aktuelle Studie zeigt.

Deutsche Jugendliche geben sich überzeugt, dass sie ihren Wunschberuf erreichen, sind mit den politischen Parteien unzufrieden, aber vertrauen stabil Staat und Demokratie. Das sind Ergebnisse der Shell Jugendstudie 2024, die diese Woche in Berlin vorgestellt wurde. Studienleiter Prof. Dr. Mathias Albert zusammenfassend: "Junge Menschen sind sehr besorgt, aber pragmatisch und optimistisch zukunftsgewandt." 


Die 19. Shell Jugendstudie zeigt: Obwohl junge Menschen aktuell in sehr krisenhaften und kriegerischen Zeiten aufwachsen, bleibt die Mehrheit zuversichtlich. Junge Menschen sind politisch interessiert und wollen sich einbringen. 


Nicht alle sind happy

Besondere Aktualität hat die Studie vor dem Hintergrund der jüngsten Wahlergebnisse in Brandenburg, Thüringen und Sachsen auch deshalb, weil sie u.a. politische Positionierungen und die dahinterstehenden grundsätzlichen Überzeugungen junger Menschen untersucht. Prof. Albert: "Wir sehen einen beachtlichen Anteil an verdrossenen Jugendlichen, insgesamt rund 12% der jungen Leute. Daneben gibt es einen erheblichen Anteil kritischer und unzufriedener Jugendlicher." Diese seien leicht durch Populismus erreichbar, kritisch gegenüber Staat und Gesellschaft eingestellt und sähen sich als benachteiligte Modernisierungs-Verlierer. Sie positionierten sich konträr zu allem, was pluralisierten Lebensstilen entspräche. Jugendliche mit eher niedriger Bildung, aber auch aus den neuen Bundesländern und auffallend viele junge Männer, gehörten zu dieser Gruppe. 


Klare Meinung zur NATO

Auch andere politisch heisse Eisen packt die Shell Jugendstudie an, vom russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine bis hin zur jugendlichen Einschätzung des Israel-Gaza-Konfliktes. "Junge Leute urteilen relativ klar", so Prof Albert. "Sie sprechen sich mit einer übergrossen Mehrheit von jeweils zwei Dritteln für die NATO aus und verurteilen den russischen Angriffskrieg. Weniger deutlich, aber immer noch mit einer Mehrheit, sind die Jugendlichen der Meinung, dass Deutschland die Ukraine auch militärisch unterstützen sollte: Hier ist etwa die Hälfte dafür, ein Viertel dagegen. Jugendliche in den östlichen Bundesländern stimmen weniger zu als in den westlichen. 


Knapp ein Drittel der Jugendlichen findet es gut, dass sich Deutschland im Israel/Gaza-Konflikt eindeutig an die Seite Israels gestellt hat, genauso viele lehnen dies ab. Rund ein Viertel ist unentschieden. Dies spiegelt wider, wie Jugendliche auf die Frage antworten, ob Deutschland eine besondere Verpflichtung gegenüber Israel habe: Ein Drittel sagt ja, ein Drittel nein, ein Viertel teils-teils. Soziodemografische Faktoren spielen hierbei eine Rolle: Jugendliche mit niedrigerem Bildungshintergrund sowie Jugendliche, die entweder selbst oder deren Eltern aus dem arabischen Raum oder der Türkei zugewandert sind, sehen seltener eine besondere Verantwortung Deutschlands.


Angst vor Krieg in Europa

Die Weltpolitik hat auch bei jungen Menschen in Deutschland deutliche Spuren hinterlassen: Mehr als 80% von ihnen haben Angst vor einem Krieg in Europa. Ein ebenfalls grosser Teil sorgt sich um die wirtschaftliche Lage und eine möglicherweise steigende Armut. Allerdings haben zugleich immer weniger junge Menschen Angst vor Arbeitslosigkeit oder davor, keinen Ausbildungsplatz zu finden. Nur noch etwa ein Drittel nennt diese Sorgen. Prof. Albert: "Das ist in unserer Zeitreihe ein historischer Tiefstand." Die Themen Klimawandel und Umweltverschmutzung machen weiterhin einer Mehrheit von zwei Dritteln der Jugendlichen Angst – weniger als bei der letzten Jugendstudie 2019. Insgesamt fühlen sich Jugendliche aus den neuen Bundesländern auch 35 Jahre nach dem Mauerfall nach wie vor verwundbarer und schlechter gestellt als die Gleichaltrigen im Westen.


Young woman with smartphone

Ein hohes Einkommen und gute berufliche Aufstiegsmöglichkeiten haben für Jugendliche an Bedeutung gewonnen.Piai, AdobeStock

Young woman with smartphone

Identifikation mit Staat und Gesellschaft 

Die grosse Mehrheit der Jugendlichen steht positiv zu Staat und Gesellschaft und sieht für sich gute Zukunftschancen. Das für den deutschen Sozialstaat zentrale Leistungs- und Gerechtigkeits-Versprechen sowie das Vertrauen in den Fortschritt sind aus ihrer Sicht weitestgehend intakt. Etwa drei Viertel der Jugendlichen sind der Ansicht, dass Deutschland ihnen alle Möglichkeiten bietet, ihre Lebensziele zu verwirklichen. Sie vertrauen darauf, dass alle gemeinsam als Gesellschaft eine lebenswerte Zukunft schaffen können. Vor allem das Vertrauen in die zentralen Institutionen der Bundesrepublik – vom Bundesverfassungsgericht über Bundeswehr bis zur Polizei und Europäischen Union – ist intakt und in den letzten 20 Jahren sogar kontinuierlich gewachsen.


Toleranz bleibt Markenzeichen

Jungen und Mädchen sind – aller Sorgen und Krisen zum Trotz – insgesamt gesellschaftlich und persönlich optimistisch, wie Ko-Autorin Prof. Dr. Gudrun Quenzel erklärt: "Jugendliche haben Zukunftsvertrauen und blicken positiv auf die Möglichkeiten, die ihnen Staat und Gesellschaft bieten." Quenzel weiter: "Der Zusammenhang zu den Erfolgen im Bildungssystem liegt auf der Hand." Die Schüler werden von Generation zu Generation sicherer, die von ihnen angestrebten Abschlüsse zu erreichen. 


Weiteres Ergebnis: Jugendliche in Deutschland sind weiterhin überwiegend tolerant gegenüber anderen Lebensformen und sozialen Gruppen – die Quoten liegen bei 80 bis 95%. Ablehnungswerte liegen unter 20% etwa gegenüber syrischen (18%), türkischen (14%) oder homosexuellen (14%) Nachbarn.


Zum Studiendesign

Die Shell Jugendstudie, die in diesem Jahr zum 19. Mal erschien, widmet sich den Lebenswelten von 12- bis 25-Jährigen – angefangen von Familie und Freizeit über Bildungswelten und Berufswünschen bis hin zu Werten und politischen Einstellungen. Erstmals dabei waren auch Abschnitte zu sexuellen Identitäten und zur Frage des Genderns.


Befragt wurden 2.509 junge Menschen der Jahrgänge 1998 bis 2012. Geschlechter, Jahrgänge, Migrations-Hintergründe, soziale Herkunft, Bildungsstand und weiteres wurden repräsentativ berücksichtigt. Die Studie wurde erstellt vom Autorenteam um Prof. Dr. Mathias Albert (Universität Bielefeld), Prof. Dr. Gudrun Quenzel (Universität PH Vorarlberg), Prof. Dr. Frederick de Moll (Universität Bielefeld) und dem demoskopischen Institut Verian. / red



Shell Jugendstudie 2024 – Die Einzelheiten


  • 50% der jungen Menschen bezeichnen sich aktuell als politisch interessiert. Noch 2002 sagten dies nur 34%.
  • Im Durchschnitt stufen sich Jugendliche mit einem Mittelwert von 5.3 auf einer Skala von 1-11 (1 = Links bis 11 = Rechts. Skalenmittelpunkt = 6) als leicht links ein. Damit ist die Selbstpositionierung insgesamt stabil (2019: 5.1).
  • Seit 2019 ist vor allem der Anteil männlicher Jugendlicher, die sich als eher rechts bezeichnen, angestiegen, jeder vierte ordnet sich als eher rechts oder rechts ein, 2019 weniger als jeder fünfte. Bei den weiblichen Jugendlichen bezeichnen sich 11% als eher rechts oder rechts. Hier ist kein Anstieg zu verzeichnen.
  • Junge Leute zeigen ein grundsätzlich hohes Staatsvertrauen. 75% sind mit der Demokratie eher oder sogar sehr zufrieden.
  • Während die Demokratie-Zufriedenheit bei Jugendlichen im Westen mit 77% stabil ist, geht sie bei den Jugendlichen im Osten derzeit etwas zurück (aktuell 60%).
  • Generelle Haltung zu Staat und Gesellschaft: 38% der Jugendlichen bilden den modernisierungs-orientierten Mainstream, 15% gehören zu den Progressiven, 18% zu den Verunsicherten, 17% zu den vorrangig Selbstbezogenen und 12% zu den durchgängig Verdrossenen.
  • Nur noch die Hälfte der Jugendlichen gehört einer der beiden grossen christlichen Kirchen an. Auch im Alltag verliert der Glaube an Bedeutung. Von allen 12- bis 25-Jährigen beten 18% mindestens einmal in der Woche, 31% seltener. 49% beten laut eigener Aussage nie – letzteres sagten im Jahr 2002 nur 29%.
  • Jeweils sehr deutlich über 90% der Mädchen und Jungen nennen als wichtigste Lebensziele „Gute Freunde haben, die einen anerkennen und akzeptieren“, „Einen Partner haben, dem man vertrauen kann“ oder „Ein gutes Familienleben führen“. Daran hat sich in den letzten 30 Jahren nichts geändert.
  • Mehr als 40% lehnen Gendern ab, gut 20% sind dafür, mehr als jeder Dritte sagt: "Ist mir egal". Junge Frauen vertreten häufiger postmaterialistische Werte als junge Männer, etwa bei Feminismus oder Gendern. Ein grosser Teil, männlich wie auch weiblich, hält die sogenannten woken Themen nicht für dringlich.
  • 7% der jungen Männer und 1 % der Frauen beschreiben sich als nicht ausschliesslich heterosexuell, verorten sich aber nur jeweils zu 1% als ausschliesslich homosexuell. Entsprechend gross ist der Anteil derer, die sich zwischen den beiden Polen einordnen: Sexuelle Orientierung scheint – besonders bei jungen Frauen – zunehmend als Kontinuum verstanden zu werden.
  • Junge Männer wünschen sich zunehmend, in Teilzeit arbeiten zu können, wenn sie Kinder haben: Eine 30-Stunden-Woche eines Vaters finden viele attraktiver als eine Vollzeitstelle – darin sind sich junge Männer (42%) und Frauen (41%) einig.
  • Auch wenn Jugendliche viel Zeit digital verbringen, trauen sie den Online-Kanälen nicht durchweg. Junge Menschen halten Informationen in den klassischen Medien wie ARD- oder ZDF-Fernseh-Nachrichten (83%) und überregionale Zeitungen (80%) überwiegend für (sehr) vertrauenswürdig. Deutlich geringer fällt das Vertrauen in Online-Informationskanäle aus, die allerdings durchaus zugelegt haben.
  • Ein knappes Drittel fühlt sich beim Thema Künstliche Intelligenz (KI) überfordert. 90% der Jugendlichen finden es (sehr) wichtig, dass der Umgang mit digitalen Medien und das Erkennen von Fake News in der Schule verpflichtend unterrichtet wird. 60% wünschen sich, dass der Umgang mit KI in der Schule unterrichtet wird.
  • Soziale Herkunft entscheidet nach wie vor über Bildungsgänge: Nur 27% der Jugendlichen, deren Eltern (höchstens) einen einfachen Schulabschluss haben, erreichen oder streben das Abitur an. Hat mindestens ein Elternteil Abitur, sind es 80%. 
  • Trotz hoher Zuversicht, einen Arbeitsplatz zu finden, dominiert das Bedürfnis nach Sicherheit: Für 91% der Jugendlichen ist ein sicherer Arbeitsplatz (sehr) wichtig.
  • Im Vergleich zu 2019 haben bei Jugendlichen vor allem ein hohes Einkommen (83% zu 76%) und gute Aufstiegsmöglichkeiten (80% zu 74%) an Bedeutung gewonnen; genügend Freizeit leicht (85% zu 82%) an Bedeutung verloren.


Hier geht's zur Zusammenfassung auf der Shell-Webseite. / kn

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