Milliarden-Loch! Gastrosteuer passé?!

Milliarden-Loch! Gastrosteuer passé?!

Politik INSIDE Berlin: Kolumne von Frank Tetzel

Der Berliner Reichstag / c_Aron Marinelli, unsplash
Klimawandel, Gastro-Mehrwertsteuer - im aktuellen Haushalt der deutschen Regierung scheint für nichts mehr Geld da zu sein. / © Aron Marinelli, unsplash

Das deutsche Bundesverfassungsgericht (BVG) hat am Mittwoch die deutsche Regierung gestoppt, Geld auszugeben, das sie nicht hat. Das Gericht hat die Umwidmung von 60 Milliarden Euro-Krediten im Haushalt 2021 für nichtig erklärt. Damit klafft jetzt eine Riesenlücke auf. Alle Ausgaben und Förderungen, selbst pro Klimawandel, sind jetzt gestoppt. Wen kümmert da noch die Hoffnung auf einen verlängerten niedrigen  Mehrwertsteuer-Satz in der Gastronomie? 

Überall liegen die Nerven blank, im politischen Berlin wie in der Hotel- und vor allem Gastro-Branche. Momentan liegen alle Gelder auf Eis, niemand hat einen Plan, geschweige denn eine Lösung. Die geplante Bundestagssitzung über den endgültigen Haushalt ist vertagt worden. 


Zur Politik: "Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages hat gestern [Mittwoch] in einer Expertenanhörung über die Implikationen des Urteils des BVG zum Nachtragshaushalt 2021 beraten. Als Fraktionsvorsitzende der Ampelfraktionen halten wir es für geboten, dieses Urteil sorgfältig bei der Aufstellung des Haushalts für das Jahr 2024 zu berücksichtigen. Die Beschlussfassung des Haushalts 2024 im Deutschen Bundestag wird deshalb nicht, wie bisher geplant, in der kommenden Sitzungswoche stattfinden. Unser Ziel ist, den Haushalt zügig, aber mit der gebotenen Sorgfalt zu beraten, um Planungssicherheit zu schaffen. Auf die Tagesordnung der Bundestagssitzung nächste Woche werden andere Themen gesetzt." 


Mit einer gleichlautenden Erklärung der Fraktionsvorsitzenden der Ampel am Mittwochnachmittag setzt sich das Drama in Berlin fort. Die noch nicht erfolgte Verlängerung der reduzierten Umsatzsteuer im Gastgewerbe fällt damit vermutlich durchs Raster.


Öffentliche Keilerei der Fraktionen

Wie blank die Nerven der Koalition gerade liegen, zeigt sich exemplarisch am Thema Gastosteuer noch einmal sehr deutlich. Finanzminister Christian Lindner von der FDP [ein Freund des Gastgewerbes] lässt über die Boulevard-Zeitung Bild wissen, dass er dagegen gewesen sei, die Mehrwertsteuer für Schnitzel und Pizza von 7% wieder auf 19% raufzusetzen: "Wenn alle Parteien an einem Strang gezogen hätten, wäre eine weitere Verlängerung drin gewesen. SPD und Grüne hatten aber andere Prioritäten."  - "Mir ist schleierhaft, warum sich der Finanzminister plötzlich von gemeinsamen Entscheidungen zum kommenden Haushalt distanziert", erklärte der SPD-Fraktionsvorsitzende Ralf Mützenich der staunenden Öffentlichkeit und dem liberalen Koalitionspartner im Magazin Stern. "Eine faire Zusammenarbeit sieht anders aus. Auch zur Absenkung der Mehrwertsteuer bei der Gastronomie hatten wir eine einvernehmliche Lösung gefunden. Dieses Thema hat Herr Lindner dann einseitig von der Tagesordnung genommen." 


Dehoga reagiert empört

Ingrid Hartges, Geschäftsführerin des Bundesverbands Dehoga, reagierte scharf auf das Geschehen nach Bekanntwerden des BVG-Urteils und nach den oben erwähnten Statements der Fraktionsvorsitzenden: "Die Einigung der Ampel-Koalition einfach so vom Tisch zu fegen, ist reflexartig, in höchstem Mass unprofessionell und respektlos! Weshalb kann man nach einer solchen Entscheidung nicht die Haushaltsrechtler einschalten und sachlich agieren? Es ging schliesslich nur um eine einjährige Verlängerung des niedrigeren Umsatzsteuer-Satzes, nicht um eine unbegrenzte Entfristung." 


Die Koalition hat inzwischen grössere Sorgen als die Gastrosteuer, die man mit 3,2 Milliarden ursprünglich entlasten wollte. Andere Schattenhaushalte könnten von dem gerichtlich verfügten Haushaltsstopp ebenfalls betroffen sein. Ursprünglich für die Bewältigung der Corona-Krise vorgesehen, sollten die geplanten Finanzmittel nun für den Klimaschutz und die Modernisierung der Wirtschaft eingesetzt werden. Das hat das Verfassungsgericht allerdings verweigert, und die Koalition steht nun ziemlich blank da. 


Es war ein brisantes Update aus dem politischen Berlin an diesem Montagabend, als offiziell bekannt wurde, dass das Bundesfinanzministerium (BMF) die zuvor für den Klima- und Transformationsfonds (KTF) verhängte Haushaltssperre nun auf nahezu den gesamten Bundeshaushalt ausgeweitet hat. Insider-Informationen aus dem Finanzministerium betonen, dass diese Massnahme darauf abzielt, die Verpflichtungsermächtigungen für das Jahr 2023 zu stoppen, um Vorbelastungen für kommende Jahre zu vermeiden. Diese Entscheidung hat weitreichende Auswirkungen, da sie sämtliche Etats der Ministerien betrifft.


Letzte Aktionen und Hoffnungen pro Gastgewerbe 

Ob es der Mecklenburg-Vorpommerschen Ministerpräsidentin Manuela Schwesig gelingen kann, die Steuererhöhung im Bundesrat zu kippen, ist derzeit offen. Sie habe kein Verständnis für diese Entscheidung, äusserte sich die Politikerin öffentlich, die Gastgewerbe-Branche habe wegen der Pandemie schwere Zeiten durchgemacht und nun mit hohen Energie- und Lebensmittel-Preisen zu kämpfen.


Am heutigen Freitag sollen sich nach Informationen der ahgz die Länderkammer gleich zweimal mit der Mehrwertsteuer befassen. Laut Tagesordnung des Bundesrats wird Bayerns Ministerpräsident Markus Söder dort selbst das Wort ergreifen und den Antrag des Freistaats präsentieren (Drucksache 623/23): "Entschliessung des Bundesrates für einen dauerhaften ermässigten Umsatzsteuersatz für Restaurant- und Verpflegungsdienstleistungen in der Gastronomie und Ausdehnung der ermässigten Umsatzbesteuerung auf Getränke."  Das Thema wird als Tagesordnungspunkt 67 behandelt. Wobei hierbei auch Getränke wieder einbezogen werden, obwohl der ermässigte Mehrwertsteuer derzeit nur für Speisen im Restaurant gilt. "Eine Erhöhung des Umsatzsteuersatzes auf Restaurant- und Verpflegungsleistungen wäre kontraproduktiv und das eindeutig falsche Signal," heisst es in dem Antrag.


Berlins Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey soll ebenfalls Widerstand in der Länderkammer angekündigt haben - zusammen mit Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Wie sich die Länder bei der Abstimmung verhalten werden, ist jedoch völlig unklar. Ein Entschliessungsantrag hat zudem keine bindende Wirkung für die Bundesregierung.


Der Dehoga selbst befürchtet nach der Entscheidung ein Massensterben von Betrieben, denn schon jetzt würden Gäste aufgrund gestiegener Kosten ausbleiben. Die gestiegene Mehrwertsteuer müsse weitergegeben werden. 


Eine Auswertung des Informationsdienstleisters CRIF (Stand 17. November 2023) ergab folgende Zahlen: 5.069 Restaurants, Gaststätten, Imbisse und Cafés in Deutschland gelten als insolvenzgefährdet. Das entspricht 12,6% der analysierten Betriebe. Im Durchschnitt gab es im Vergleich zum August 2023 einen Anstieg um 6% an gastronomischen Betrieben, die von Insolvenz bedroht sind. Im Januar 2020 – vor der Corona-Pandemie – lag die Zahl insolvenzgefährdeter Gastronomie-Firmen bei 12.662 bzw. 10,7%. 


Ausgerechnet in Berlin, dem Regierungssitz, ist das Insolvenzrisiko in der Gastronomie am höchsten: Dort gelten 16,5% bzw. 1.369 der Gastronomie-Unternehmen als insolvenzgefährdet. Es entsteht laut CRIF aber inzwischen ein zweigeteiltes Bild: So hat sich der Bonitätsindex als aussagekräftiges Mass für die finanzielle Stabilität in der Gastro-Branche seit Anfang 2022 stetig verbessert.


Dorint-Aufsichtrat kritisiert: Jeder Spielraum jetzt verloren 

Dirk Iserlohe, Inhaber und Aufsichtsratschef der Kölner Dorint Hotelgruppe mit über 3.500 Mitarbeitern, äusserte sich ebenfalls zur Erhöhung der Mehrwertsteuer bei Speisen in der Gastronomie: "Es ist äusserst bedauerlich, dass nun zur Schliessung von Haushaltslücken Massnahmen ergriffen werden sollen, die nur weiter inflationstreibend wirken und zur Destabilisierung einer bereits angeschlagenen Branche, nein, sogar der Gesamtwirtschaft beitragen. Für mich als Hotel-Unternehmer ist daher der finanzielle Spielraum für Lohnerhöhungen, Suche nach Servicekräften, Investitionen in die Klimawende, Sanierungs- und Renovierungskosten und die Kompensation der allgemeinen Kostensteigerungen leider verloren. Die Entscheidung der Bundesregierung ist vor allem auch sozial problematisch, da die Gastronomen nur eine Antwort auf die Erhöhung der Mehrwertsteuer haben: weitere Preiserhöhungen! Ich kann mir ausmalen was passiert, wenn das Schnitzel schon bald um die 30 Euro kosten wird: Die Gäste bleiben weg", erklärte er in einer Pressemitteilung am Mittwoch.

 

"Zudem," so Iserlohe, "hat die Opposition – die ursprünglich eine Verlängerung angestrebt hat – strategisch fehlerhaft gehandelt, indem sie im September einen Antrag auf Entfristung des reduzierten Steuersatzes von 7% stellte. Die Ablehnung durch die Ampelkoalition war vorhersehbar. Logisch, dass die Ampelkoalition nicht dafür stimmt, wenn die CDU etwas beantragt. Und nun nutzt die amtierende Bundesregierung die Debatte um die Nichtverwendung der 60 Milliarden Euro als Vorwand für eine bereits gefällte Entscheidung." 


Dass die Tourismusbranche in Deutschland lediglich durch einen Koordinator für maritime Wirtschaft und Tourismus repräsentiert werde und nicht durch ein zwingend erforderliches Ministerium, zeige ihren nach wie vor geringen Stellenwert (sh. Politik Inside Kolumne vom 22.9.2023). 


Berlin im Ausnahmezustand

Fakt ist: Das politische Berlin ist gerade im Ausnahmezustand. Eine Meldung jagt die nächste, die Gerüchte-Küche brodelt. Waren die Politiker noch zwei Wochen vorher in absoluter Spendierlaune, so übertreffen sie sich jetzt mit Sparvorschlägen. Natürlich nicht im eigenen Ressort, versteht sich. Und die, die es eingebrockt haben, gehen gerade in Deckung: Kanzler Olaf Scholz, der als Finanzminister den Grundstein für viele dieser Extra-Kassen gelegt hat, die nichts weiter sind als weitere Schulden – aber auch Finanzminister Christian Lindner, der immerhin einen Haushalt aufgelegt hat, welcher nicht verfassungskonform war und als Gralshüter der wahren FDP-Lehre krachend gescheitert ist… Lindner zeigt sich eher als unbeteiligter Kommentator von der Seitenlinie als einer der Verantwortlichen. Und nicht zuletzt der Klima- und Wirtschaftsminister Robert Habeck, der nun die grüne, dringend notwendige Transformation nicht mehr finanzieren kann. 


Ratlosigkeit allerorten. Schon fragt man sich in Berlin, ob die Ampel zerbricht – doch was würden Neuwahlen bringen? Die FDP würde vermutlich aus dem Parlament fliegen und die Rechten würden einziehen, schlimmstenfalls sogar als stärkste Fraktion. Um das zu verhindern, wird man sich lieber wieder "durchwurschteln". Irgendwie, irgendwann. Mit irgendwas Halbherzigem wieder, nichts Neuem, nichts Innovativem.


Zu allem Übel hat die deutsche Fussball-Nationalmannschaft diese Woche auch noch gegen Österreich verloren (0:2). Dieses Team scheiterte an seinem Coach an der Spitze. Genauso wie das Land. Scholz hat sich zu diesem politischen Erdbeben seit Verkündung des BVG-Urteils noch nicht einmal öffentlich gezeigt oder gesprochen. / Frank Tetzel 

Autor

Frank Tetzel

Frank Tetzel

schreibt u.a. über Nachhaltigkeit, Internationale Politik, aber auch über die Entwicklung von Städten und das Thema Tourismus und Hotellerie. Zudem ist er bestens vernetzt im politischen Berlin.

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